Trierischer Volksfreund - Samstag, 10. März 2001
EINBLICKE
"Der Rock-Zirkus hört an der Haustür auf"
Michael Sadler von der kanadischen Band Saga im Interview
Als Protagonisten des sogenannten Art-Rocks, aus dem sich später der Begriff des "Progrock" entwickelte, lässt sich die kanadische Rockband "Saga" gerne als legitimer Nachfolger der legendären Yes oder Emerson, Lake & Palmer feiern. Dank ihrer Freude an symphonischen Elementen, epischen Arrangements und melodiösen Rockpassagen hat es die Band um den mittlerweile im Saarland lebenden Frontmann Michael Sadler geschafft, die Bandhistorie in die dritte Dekade ihres Schaffens zu führen. Mit dem neuen Album "House of cards" versprechen SAGA mehr als nur ein Hauch von Nostalgie.
Was unterscheidet das aktuelle Album von den bisherigen?
Michael Sadler: Es geht nicht darum, jedes unserer Alben vom vorherigen unterschiedlich klingen zu lassen. Wir müssen Saga nicht neu erfinden. Zu Beginn unserer Karriere, also um 1977, versuchten wir noch angestrengt und spaßeshalber äußerst "medieval funk" zu klingen. Einerseits ein Zeichen für den Humor in der Band, andererseits auch Ausdruck dafür, dass wir etwas Besonderes schaffen wollten. Mittlerweile denke ich, ist der Saga-Sound ein unverkennbarer geworden. Dennoch geht "House of Cards" in seinen Extremen weiter als seine Vorgänger. Ruhigere Stücke sind sehr balladesk und mit akustischen Gitarren untermalt, Rockpassagen dagegen wirken härter als früher. Desweiteren wurde "House of Cards" in nur sechs Wochen aufgenommen, so wenig Zeit benötigten wir noch nie für ein Album. Es spricht für unsere derzeit ungeheure Kreativität.
Der Titel "House of Cards", Sagas mittlerweile 15. Album, proklamiert zum einen etwas sehr kunstvoll Erschaffenes, zum anderen etwas leicht in sich Zerbrechliches. Steht der Titel für das Gesamtkunstwerk Saga? Michael Sadler: Ja, vor allem für das zweite. Jeder, der über Jahre oder gar ein ganzes Leben lang etwas Bestimmtes tut, erlebt Hochs und Tiefs. Erfolg ist selten von Dauer, und man muss hart für den Erfolg arbeiten. Manchmal reicht ein Windhauch, um das Kartenhaus des Lebens zum Einsturz zu bringen. Genau davon handelt der Song und das Album. Über das Sensible, Zerbrechliche, nicht Manipulierbare, über alles, worauf man selbst keinen Einfluss nehmen kann. Es handelt aber auch davon, wie vorsichtig man mit allem umzugehen hat und man sich auf das Wesentliche konzentrieren sollte. Aber auch darüber, sich mit dem was man hat, zufrieden zu geben und es schätzen zu lernen.
Unter den elf neuen Songs befinden sich mit den Songs ,"Ashes to Ashes" (Chapter 11) und "We'll Meet Again" (Chapter 15) weitere Kapitel einer bereits auf dem ersten Album begonnenen Geschichte. Warum dieses Rätselraten um die fehlenden Kapitel?
Michael Sadler: Wir hatten von Anfang an Spaß daran, häppchenweise eine Geschichte zu erzählen. Aber wir wollten es auch nicht allzu einfach machen und veröffentlichten die einzelnen Kapitel nicht in der chronologischen Reihenfolge. Momentan fehlen noch sechs Kapitel, die wir auf den kommenden drei Alben nachreichen, und danach wird es ein Doppelalbum geben, auf dem die komplette Story in der richtigen Reihenfolge zu hören sein wird.
Von was lassen Sie sich beim Schreiben inspirieren?
Michael Sadler: Von Nachrichten. Vom Menschen. Für mich ist der Mensch das interessanteste Wesen überhaupt. Ich könnte ihm stundenlang zusehen, bei allem was es tut. Ich bin davon fasziniert, wie der Mensch interagiert, wie er reagiert, wie er sich Probleme schafft, ohne dass er zuerst an die Lösung denkt, das ist oft genauso amüsant wie auch tragisch.
Der erste Song des Albums heißt "God knows", im Song "Ashes to Ashes" werden Bibelauszüge zitiert. Sind Sie religiös?
Michael Sadler: Religion ist ein schwieriges und komplexes Thema. Ja, ich bete. Auch Rockmusiker glauben an Gott. Aber bin ich deswegen religiös? Was mich an der heutigen Religion stört ist, dass sie zu sehr institutionalisiert ist. Mich stört u.a. auch der kommerzielle Aspekt in der institutionellen Religion. Gerade in den USA wird mit dem Glauben ein großes Geschäft gemacht. Ich denke, ich bin eher gläubig anstatt religiös. Es wäre vom Menschen sehr arrogant zu behaupten, dass er das Beste des Universums wäre. Ich glaube an eine Kraft, die lenkt. Ich glaube an Yin & Yang. Ich glaube an den Kreislauf des Lebens. Ich denke, es ist wichtiger, an das Menschliche zu glauben, als an das, was andere uns vorgeben. Einer Oma über die Straße zu helfen, kann manchmal "religiöser" sein, als täglich die Bibel zu lesen. Jemanden an der Supermarktkasse vorzulassen, der nur zwei Artikel hat, und du selbst hast den ganzen Wagen voll, demonstriert manchmal mehr "Religion", als jeden Sonntag in die Kirche zu gehen. Ich denke, Religion findet sehr viel in einem selbst statt.
Gibt es in der Moderne noch eine Alternative, der organisierten Religion zu entkommen?
Michael Sadler: Gerade und insbesondere, wenn Religion institutionalisiert wird, wird sie auch gefährlich. Ich denke, Religion und Glaube ist etwas derart Persönliches, dass sie nicht allzu formalisiert werden soll. Egal, ob es der christliche Glaube, der Islam oder auch der Buddhismus ist, es sind alles nur Etiketten. Der Mensch und sein Inneres kommen hierbei zu kurz. Es reicht heute nicht mehr aus, dem Menschen zu sagen, wenn du sonntags nicht in die Kirche gehst, kommst du in die Hölle. Alternativen zu finden, sind schwierig, und die sollte jeder für sich definieren.
Woran liegt es, dass Rockmusik solches Gedankengut in Songs einfließen läßt?
Michael Sadler: Vielleicht daran, dass diejenigen, die die Rockmusik machen, älter werden und sich übers Älterwerden genausoviele Gedanken machen, wie jene, die der Rockmusik "nur" zuhören.
Hat sich Ihre Sichtweise übers Älterwerden im Laufe der Jahre geändert?
Michael Sadler: Ja, sie hat mich jünger werden lassen. Natürlich nicht anatomisch, aber emotional. Ich bin froh, Erfahrungen zu machen, ohne geistig zu altern. Gegen das physische Altern kann sich niemand wehren, aber die Jugend im Kopf kann man sich bewahren.
Was macht aus Ihrer Sicht den Erfolg von Saga aus?
Michael Sadler: Das wohl prägnanteste Merkmal von Sagas Musik ist deren Zeitlosigkeit. Egal, welches Album man sich anhört, kein Song lässt sich in Modetrends oder in Zeitschemata einordnen. Die Musik wirkt, ungeachtet der technischen Möglichkeiten, die einem 25 Jahre nach dem ersten Album zur Verfügung stehen, weder alt noch jung.
Sie leben im Saarland. Was hat Sie als kanadischer Rockmusiker ins Saarland geführt? Und wie sieht Ihr Alltag aus?
Michael Sadler: Ich lebe seit 1991 im Nordsaarland. Damals waren wir für Studio-Aufnahmen hier, ich lernte meine jetzige Ehefrau kennen und lieben und schlug Wurzeln. That's it. Hier fühle ich mich wohl, hier lebe ich als Privatmann. Der Rock'n'Roll-Zirkus hört hinter meiner Haustür auf. Aus diesem Grund rede ich auch nicht so gerne über mein Privatleben. Zuhause ist das Leben eines Rock'n'Rollers ziemlich langweilig. Dort bin ich nicht der Typ von Saga, sondern nur Michael Sadler. Mittlerweile lebe ich aber nur noch die Hälfte des Jahres im Saarland, den Rest verbringe ich in Los Angeles. Ansonsten verbringe ich meine Zeit mit Schreiben, Nachrichten gucken und Sport sehen.
CHRISTOF GRAF
SAGA sind ab Ende März auf Deutschlandtournee. Tourdaten: u.a. 31. März Saarbrücken, Kongresshalle; 12. April, Koblenz, Rhein-Mosel-Halle; 18. April, Mannheim, Capitol.