Seit satten 29 Jahren sind die kanadischen Melodic-Progger SAGA nun schon in der Musikwelt umtriebig, hatten ihre große Zeit in den 80ern und wurden dann mehr oder weniger Opfer des Erfolgsdrucks und des zu dieser Zeit vorherrschenden Synthiepops. Die Musik wurde immer mainstreamiger, die Band zerbrach und man schleppte sich mit Mühe und Not in die 90er, wo man nach einer Reunion allerlei Experimente wagte, um dann, im Jahre 1999, zum klassischen, erfolgreichen Saga-Sound zurückzufinden. Seither sind vier Alben erschienen, die sich jeweils daran versucht haben, die Magie der alten Zeit wieder aufleben zu lassen. Mit „Full Circle" und „House Of Cards" klappte das jeweils ganz gut, die darauffolgende „Marathon" war ein Totalausfall und auf dem 2004er Album „Network" präsentierte man sich wieder durchaus rehabilitiert. Da die Band damals gerade ihren Gründungsdrummer Steve Negus verloren hatte, waren es bestimmt keine leichten Zeiten. Man hat das Optimum draus gemacht. Gemeinsames Problem aller bisherigen Versuche: Eine zwanghafte Kopie des alten Stils sollte erschaffen werden. Es blieb so wenig Platz für neue, frische Einflüsse und Sounds. Man klammerte sich zu sehr an alte Muster.

Das neue Werk „Trust" ist mittlerweile Studioalbum Nummer 17 des kanadischen Fünfers. Und schon vor der Veröffentlichung konnte man spüren, dass diesmal etwas anders ist. Die Band wechselte das Label, SPV hat den „Vorsitz" an die Prog-Spezialisten von InsideOut abgegeben. Ein neuer Schlagzeuger wurde zur Weihnachtstour 2005 ebenfalls präsentiert: Brian Doerner sitzt ab jetzt hinter dem Drumkit. Er stammt ursprünglich aus der kanadischen Hardrock-Band Helix und hat schon bei den Liveshows 2005 bewiesen, dass er ein enorm spritziger, dynamischer und fetziger Schlagzeuger ist. Christian Simpson, der Steve Negus ersetzt hatte, musste aus gesundheitlichen Gründen die Band verlassen. Spätestens als dann das fantastische Artwork der neuen Scheibe im Internet auftauchte, war die Vorfreude bei der immer noch treuen Fanschar der Band groß. Das sah nach einem richtig „klassischen" SAGA-Album aus.

Und in der Tat: Auch die elf Songs von „Trust" bleiben dem typischen SAGA-Sound treu. Auch hier finden wir also Michael Sadlers majestätische Vocals, die blitzschnellen Unisonoläufe von Jim Gilmour am Keyboard und Ian Chrichton an der Gitarre, die absolut unverwechselbaren Stakkato-Gitarrenriffs und das typische Shuffle-Drumming. Wo liegt nun der Unterschied zu den Vorgängern?

Ganz einfach: „Trust" strahlt über die gesamte Spielzeit von 50 Minuten eine Frische, Würze und Ideendichte aus, die ich den nicht mehr ganz so jungen Herren so nicht mehr zugetraut habe. Das ist nicht einfach wieder eine Kopie des klassischen Sounds, hier werden ganz neue, bisher ungehörte Elemente in den vorhandenen Soundkosmos eingebunden. So hat man sich erstmals seit etlichen Jahren wieder bemüht, einige ausführliche Instrumentalabfahrten in die Songs einzubauen, die man sogar absolut problemlos mit dem Attribut „progressive" versehen kann. So mancher Song auf „Trust" nimmt in seinem Verlauf eine Wendung, die man nie erwartet hätte; genau das hat der Musik der Band in den vergangenen Jahren größtenteils gefehlt! Ergänzend kommt hinzu, dass mit Brian Doerner schlichtweg der beste und versierteste Drummer der Bandgeschichte hinter dem Schlagzeug sitzt. Endlich passiert mal mehr als nur Standarddrumming und der Shufflerhythmus, endlich gibt es Fills und Rhythmen, die den Songs Spannung und Rockattitüde aufsetzen. Im Vergleich zu den letzten Studiowerken ist das neue Album zudem fantastisch produziert: Der Sound ist frisch, knackig, extrem voluminös und warm, aber dennoch schafft man es, jedes Detail in Szene zu setzen.

„That's As Far As I'll Go" eröffnet das Album mit einem modernen, tranceartigen Keyboardsound, ehe harte Gitarren einsetzen und Michael Sadler mit der ersten treibenden Strophe beginnt. Zum Refrain hin nimmt man etwas Tempo raus, es folgt ein klassischer SAGA-Chorus, pumpender Bass von Jim Crichton und im späteren Verlauf noch zwei kurze instrumentale Zwischenspiele. Der Keyboardsound vom Anfang schwebt während des Songs immer wieder im Hintergrund, was dem Song eine sehr futuristische Ausstahlung gibt. Im Grund aber ein kurzer, knackiger und vor allem ungewohnt moderner Rocksong, der die Funktion als Opener perfekt ausfüllt. „Back To The Shadows" begeistert vor allem durch seine tolle Atmosphäre, die schwebenden Melodien, den absolut mitreißenden und mitsingkompatiblen Refrain und diese Gitarrenlicks, die einen schon nach zwei Hörduchgängen nicht mehr aus dem Kopf wollen. Zum Abschluss des Songs gibt es einen zweiminütigen, rasanten Instrumentalpart mit klassischen Saga-Unisono-Duellen. „I'm OK" wird von Piano, Shufflerhythmus und akzentuiert eingesetzten harten Gitarrenriffs eröffnet, ehe die sanfte, beruhigende Strophe beginnt. Von der Instrumentierung und dem Sound ist der Song beinahe mit „Don't Be Late" zu vergleichen. Schön auch, wie sich Ian Crichtons Gitarren nachher in den Sound „einweben". Mit „Time To Play" kommt dann eine coole Funkrock-Nummer. Eine große Überraschung mit einem ultracoolen Michael Sadler, der sich an rapähnlichen Vocals versucht. Im Refrain wird man wieder melodischer und präsentiert klassische Saga-Riffs. Die Bassarbeit weiß hier ganz besonders zu gefallen.

Mit „My Friend" folgt sodann die erste und eigentlich auch einzige richtige Ballade des Albums. Hier übernimmt wieder Keyboarder und Backgroundsänger Jim Gilmour den Gesangspart. Das Stück besticht vor allem durch die klassisch eingesetzte Akustikgitarre, die schönen, verträumten Oboentöne von Jim und der melancholisch-nachdenklichen Melodieführung. Im Mittelteil gibt es eine wirklich schöne, beruhigende Instrumentalpassage. „My Friend" klingt fast schon wie ein altes Traditional, ein Folksong, lieblich, frisch und ländlich – man kann den Duft der Luft der Natur praktisch in der Musik spüren. Allerdings ist der Track auch ein absoluter Kontrapunkt zum sonstigen Songmaterial und deshalb wahrscheinlich auch recht mittig platziert. Nun folgt der Titeltrack: „Trust" wird wiederum durch extrem spacige Synthisounds eröffnet und brilliert durch einen enorm einprägsamen, rockigen Refrain. Zur Strophe hin wird's ruhiger, der Prechorus weißt Riffs auf, die beinahe dem Alternative Rock entstammen könnten. Der Refrain mit dem immer wieder im Hintergrund geshouteten „Trust" ist unheimlich mitreißend. Mit dem im Mittelteil folgenden Instrumentalpart hätte man nach dem ziemlich direkten Chorus nicht gerechnet. Hier begegnen uns plötzlich Klaviertöne, ehe man wieder zur Unisono-Fahrt ansetzt. „It's Your Life" startet mit Doppelbass und fährt dann den wohl singletauglichsten und einprägsamsten Riff der Band seit seligen „Wind Him Up" und „On The Loose"-Zeiten auf. Genau aus diesem Grund wurde er wohl auch als Single veröffentlicht. Die Strophen sind schon fast poppig und äußerst melodisch, der Refrain geht einem schon bald nicht mehr aus dem Kopf. Sicherlich liegt kein unheimlich innovativer Song vor, aber einen besseren Smashhit hätten SAGA im Jahre 2006 einfach nicht schreiben können. Eine Über-Hymne, ein Superhit, ein einfach geiler Song. Das wird live ein Fest!

Mit „Footsteps In The Hall" hat man dann ein kleines, unscheinbares Liedchen draufgepackt, dass ungemein spaßig und spontan klingt und zudem einen unheimlich lustigen Text hat, in den auch eine ernste Seite interpretiert werden kann. Instrumental präsentiert man hier in sehr kurzer Zeit sehr viele schöne Ideen! „Ice In The Rain" ist vielleicht der zweite Smashhit der Platte. Das Hauptthema des Songs wird gebildet durch eine Tonfolge auf dem Piano, einem abgehackten Gitarrenriff und ein ganz kurzes Gitarrenlick, die immer wieder wiederholt werden. Das Drumming geht hier sehr schön tight nach vorn, ohne heavy zu sein. An sich eine recht poppige Nummer, die allerdings kurz vor der Drei-Minuten-Marke mit einem fantastischen, flüsternden Michael Sadler über markanten Keyboardsounds eine absolute Gänsehautstelle beinhaltet. Sobald dann der Synthibass aufgefahren wird und Ian Crichton zu seinem Solo ansetzt, beginnt man langsam aber sicher vom Erdboden abzuheben. Fantastisch! „You Were Right" beginnt flott und progressiv, überrascht wenig später mit perlenden Pianoläufen und entwickelt sich dann zu einer tollen MelodicProg-Nummer mit ultramelodischem Refrain, modernen Gesangsarrangements in der Strophe und einem ebenso fantastischen Instrumentalpart, der wieder unheimlich spacig klingt.

„On The Other Side" beendet „Trust" dann noch mal total überraschend: Der Song wird von folkloristischen Akkordeontönen eröffnet, klingt fast schon nach Seefahrt und Nordsee! (lacht) Dann gibt man aber ganz klar die Gentle Giant-Einflüss preis, es wird sehr jazzig, Gitarren, Synthibass und Keyboard scheinen sich zuzuspielen, tauchen immer wieder fugisch versetzt auf, ehe Ian Crichton einen Powerchord loslässt und ein hymnischer, beruhigender, ein wenig endzeitlich klingender Song startet. „Day after day you continue to play, only games you prefer when you're winning, but you still feel rather hollow" – "Someone is saving a place for you, on the other side". Auch hier gibt es im späteren Verlauf wieder ein tolles Solo von Ian und die Atmosphäre des Tracks ist irgendwie ganz besonders, einzigartig und wirkt so vorrausschauend. Jedenfalls beenden jene fugischen Gentle-Giant-Spielereien den letzten Song auf „Trust" – und nun sind wir wieder uns selbst überlassen. „Trust" – „Vertrauen" – was heißt das? In den elf Songs geht es um Vertrauen, das in unserer schnelllebigen Welt, in der menschliche Beziehungen oft zu kurz kommen, ein ganz wichtiges Gut ist. Aber es geht auch darum, dass man auf eigenen Beinen stehen soll. Es ist eben nicht immer gut, anderen Menschen zu vertrauen. Es könnte sein, dass man dadurch arg enttäuscht wird. Spuren, die das Leben zeichnen. Die Gesellschaft, die Medien, alle haben sie Einfluss auf uns. Schön, dass SAGA so einfach und verständlich über Dinge singen, die uns alle betreffen. Ganz nebenbei ist „Trust" von vorne bis hinten ein optimales Sommeralbum, welches trotz manch negativ gefärbtem Songtext unheimlich Laune macht.

Und für alle die, die es immer noch nicht verstanden haben: Es ist ein verdammt gutes Album! Das beste aus dem Hause SAGA seit langer, langer Zeit und eventuell das beste, was die Jungs in ihren alten Tagen noch zusammenzimmern können. Ich glaube jedenfalls kaum, dass es noch mal besser geht. Wenn, dann nur mit einem Nachfolger zum Konzeptalbum „Generation 13". Wer behauptet, SAGA gehöre zum alten Eisen, SAGA würden nicht ordentlich rocken oder SAGA würden die frischen Ideen ausgehen, der höre „Trust" und vertraue mir.

PS: Das Album gibt es auch als Special Edition mit "Making Of Trust"-Bonus DVD.
Bewertung: 9.5/10
Redakteur: Sebastian Mack


Quelle: http://www.metal1.info/reviews/reviews.php?rev_id=1371

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