Nach monatelangem, bangem Warten ist es nun endlich da: Das erste SAGA-Album mit dem neuen Sänger Rob Moratti, der in die übergroßen Fußstapfen von Michael Sadler tritt. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Wer sich von SAGA ohne Michael Sadler nicht lossagen kann, für wenn Michael Sadler ein überwiegender Teil von SAGA war, der wird mit „The Human Condition" nicht allzu glücklich werden.
Warum? Das hat einen einfachen Grund: Die Stimme von Rob Moratti ist gänzlich anders als die seines Vorgängers: Viel weichter, deutlich höher und bei weitem nicht so theatralisch und prägnant. Der neue Frontmann hat zuvor bei der kanadischen Melodic Rock-Combo Final Frontier hinter dem Mikro gestanden und dementsprechend erinnert seine Stimme eher an Steve Perry von Journey oder vergleichbare Shouter. Auch Erinnerungen an Jon Bon Jovi weiß Moratti an der einen oder anderen Stelle zu wecken.
„Und was ist aus der Musik geworden?", mögen Fans fragen, die die bisherigen Zeilen mit einem unguten Gefühl in der Magengegend gelesen haben. Hier bleibt nur zu sagen: Die Band hat getan, was längst überfällig war: Den klassischen SAGA-Sound modernisieren. Auch auf „The Human Condition" gibt es deshalb zwar jede Menge SAGA-Zutaten, wie die flirrenden Keyboards von Jim Gilmour oder die Stakkato-Gitarren von Ian Crichton. Vielleicht muss der Fan diese aber etwas länger suchen oder gar genauer hinhören, denn die fünf Herren präsentieren sich auf den neun neuen Songs so progressiv und schräg, wie schon lange nicht mehr. In der Tat ist lediglich das 1995er-Konzeptwerk „Generation 13" aufwendiger und verschachtelter, als das hier vorliegende Werk. Die Devise der vier verbliebenen Instrumentalisten, insbesondere der beiden federführenden Crichton-Brüder, ist also: Mehr Tonartwechsel, mehr - und längere - Soli und Instrumentalparts.
Das führt uns bereits der beinahe siebenminütige Opener und Titeltrack eindrucksvoll vor Augen. In diesem Quasi-Instrumental - es gibt nur eine Textzeile - wimmelt es nur so vor pfeilschnellen Läufen und Leads von der Gitarre und dem Keyboard. Wer also dachte, „Corkentellis" vom Vorgänger „10.000 Days" sei schon das Ende der instrumentalen Fahnenstange, hat sich mächtig geirrt. Ein äußerst mutiges Eröffnungsstück, das mehrmals gehört werden will, um vollständig erfasst zu werden – und auch dann noch einigen Fans bitter aufstoßen dürfte. Ich höre schon die Unkenrufe: „SAGA versuchen wie Dream Theater zu klingen, scheitern aber grandios." Lasst dieses einzigartige Stück im Songkatalog der Band sich erst einmal entfalten! Bei „Step Inside" darf Rob Moratti dann auch endlich richtig hinters Mikro und macht in dem bärenstarken Refrain des Tracks sogleich klar, dass er richtig gut singen kann. Die Strophe progrockt für SAGA-Verhältnisse übermäßig stark, die zwei Gitarrensoli von Ian Crichton sind schlicht göttlich und machen spätestens hier klar: Das ist noch die alte Bande! Das darauffolgende „Hands Of Time" ist eine schöne, nicht ganz kitschfreie Ballade, die aber beeindruckend den Stimmumfang von Moratti zur Show stellt. Da gab es von den Jungs schon viel, viel schlechtere Feuerzeug-Nummern. „Avalon" bietet sommerliche Gute-Laune-Musik mit einer etwas süßlichen Strophe und orchestralen Instrumentalparts, während „A Number With A Name" der typischste SAGA-Song auf dem Album ist. Druckvoller, schneller Gesang trifft auf einen dichten Soundteppisch, gewebt aus kleinen Keyboard- und Gitarren-Melodienschnipseln. Damit kann die Band nichts falsch machen! Auch die übrigen Songs halten dieses Niveau, drücken stellenweise auch nochmal deutlich auf die Hardrock-Tube („Crown Of Thorns"). Der Rausschmeißer „You Look Good To Me" erinnert mit seinen Schlagzeugstock-Spielereien glatt ein wenig an „Take A Chance" vom Album „Behaviour".
Zusammenfassend kann man sagen: Die Instrumentalparts sind ausgefeilter und komplizierter geworden, die Gesangsmelodien hingegen etwas kitschiger und süßlicher geraten. Die Erklärung dafür ist einfach: Die Crichton-Brüder und Keyboarder Jim Gilmour zeichnen sich für die Musik verantwortlich, Rob Moratti hat die Gesangsmelodien und Texte beigesteuert. Die Symbiose dieser Melodic Rock-Gesänge mit progressiverem Rock gelingt der Band recht gut. Allerdings fällt der eine oder andere Übergang zwischen Instrumentalpart und Strophe bzw. Refrain etwas ruppig aus, sodass auf schräge Akkordfolgen und Harmonien plötzlich sehr melodischer Gesang folgt. Auch enden die Songs meistens recht unvermittelt.
Wären diese Übergänge schlüssiger, hätten die neuen SAGA allerdings nur wenig Steigerungsmöglichkeiten für den Nachfolger von „The Human Condition". Doch bis der in den Regalen steht, bietet das aktuelle Werk 47 Minuten beste Melodic-Prog-Unterhaltung von den alten Hasen aus Kanada, die auch ohne Michael Sadler eine eindeutige Daseinsberechtigung haben. Auf der Tour im April/Mai dürfen wir die neuen Songs dann auch live abfeiern und die alten Klassiker in neuem Gewand hören. Die Spannung steigt!
Bewertung: 8/10
Redakteur: Sebastian Mack
Quelle: http://www.metal1.info/reviews/reviews.php?rev_id=3360