SAGA Network
Mit der kanadisch/britischen Rocklegende SAGA verhält es sich ähnlich wie bei dem einstigen Prestigeobjekt eines allseits bekannten Automobilherstellers aus Wolfsburg: Sie läuft... und läuft... und läuft... und läuft... Über 25 Jahre sind Frontmann Michael Sadler und seine Begleiter bereits unterwegs, ohne auch nur einmal eine länger als ein Jahr währende Pause eingelegt zu haben. 16 Alben und zwei DVDs erblickten seitdem das Licht der Welt. In den frühen 80ern zählte die detailverliebt musizierende, beinahe arbeitsüchtige Rockinstitution, von deren Mitgliedern man niemals über Skandale, Drogenorgien, Alkoholexzesse oder Frauenaffären las, insbesondere in Deutschland zu einer der beliebtesten, gefeiertsten, aber auch polarisierendsten Bands. Mit der gleichen Wucht und Härte, wie ihre Fans sie liebten und verehrten, verachteten sie die ewig besserwisserischen Kritiker. Kaum ein gutes Haar ließ man an den jeweils neuesten Produktionen des Rockfünfers, der mit seiner eigenwilligen, aber stets betörenden Mischung aus Art Rock, Hardrock und schneidigem, zackigen New Wave a'la The Cars ein beliebtes Haßobjekt der Musikpresse war. "Noch langweiliger als das Fernsehtestbild" lautete etwa die niederschmetternde Bewertung ihres 85erAlbums "Behaviour" durch das Hamburger Stadtmagazin OXMOX. Es schien, als erwürbe sich ein Musikjournalist eine gute Reputation erst dadurch, indem er eine SAGA-LP verriß... Doch der mit einer Deutschen verheiratete WahlSaarländer Michael Sadler ließ sich von solcher (nicht selten arg billiger) Polemik niemals beirren. Er und seine Band blieben sich und ihrem Stil jahrelang, jahrzehntelang treu, mit einer Bärbeißigkeit und Konsequenz, die im schnellebigen Rockbusineß ihresgleichen sucht.
"Keine Experimente" auch Konrad Adenauers erfolgreichen Webeslogan aus dem Bundestagswahlkampf 1957, der immerhin eine Menge zur Absoluten Mehrheit für den Alten aus Rhöndorf beigetragen hatte, könnte man der fünfköpfigen Truppe durchaus zuordnen. Zwar verunsicherten SAGA Mitte der 90er auf den so unausgegorenen wie unnötigen Alben "Generation 13" (1995) bzw. "Pleasure and Pain" (1997) ihre Fans mit peinlichen MöchtegernModernisierungen. Doch derartige Versuche wurden gottlob schnell wieder zu den Akten gelegt ohne, daß man sie der Band lange vorhielt. Spätestens seit 1999 und ihrem grandiosen Comebackalbum "Full Circle" klingen SAGASongs wieder so, als sei der "legendäre Sommer 1982" niemals zu Ende gegangen.
Nachdem im Frühjahr diesen Jahres die äußerst empfehlens und sehenswerte DVD "Acess all Areas Live in Bonn 2002" erschien, folgt nun am 20. September SAGAAlbum Numero 17. "Network" (SPV) heißt das aktuelle Werk, das sich textlich mit der Belanglosigkeit, Sensationsgier und Dekadenz der sich immer schneller drehenden Medienwelt auseinandersetzt und dabei nicht selten ein alles andere als optimistisches Bild zeichnet. "Manche Fernsehprogramme", erzählt Keyboarder Jim Crichton, "haben offenbar nur den Sinn und Zweck, die Menschen vor dem TVGerät zu schockieren; koste es, was es wolle". Crichton schimpft über die "Ladungen von Mist", die manche Fernsehjournalisten über den unbedarften Zuschauern auskippen.
Auch in musikalischer Hinsicht bleiben SAGA wertkonservativ, bodenständig und gegenwartskritisch: Bei den Aufnahmen zu "Network" verzichtete die Band auf jegliche Anpassung und Anbiederung an den flachen Zeitgeist des Show und Musikgeschäfts anno 2004. Die zehn Songs beinhalten ein ums andere Mal genau das, wofür SAGA nun schon seit 1976/77 stehen: Breitflächige Keyboard und Synthiteppiche, dargeboten wie immer von Jim Crichton, verbinden sich auf die übliche unverwechselbare Weise mit dem abgehackten, rhythmusbetonten, aber zugleich überaus melodischen Gitarrenspiel seines Bruders Ian und natürlich Michael Sadlers kraftvollem Organ, das stets etwas gehetzt, nervös, unruhig, aufgewühlt wirkt, aber wie z.B. die tiefnächtliche Ballade "If I were you" beweist auch ungewohnt sanfte, einschmeichelnde, ja geradezu verliebte Akzente zu setzen vermag.
Der diesmal besonders kompakte, in sich geschlossene Klang der einzelnen Songs ist vermutlich dem Neuzugang Christian Simpson zu verdanken, der den seit SAGAGründungstagen das Schlagzeug dreschenden Steve Negus für eine unbestimmte Zeit ersetzt, da sich letzterer einer kreativen Erholungsphase verschrieben hat, um mehr Zeit für sich, sein Privatleben und seine Familie zu haben. Der ebenfalls aus Kanada stammende Simpson trägt neue Power in die festverschweißte Restband und beharrte auf einem traditionellen Aufnahmeverfahren seiner Drumparts. "Die meisten Bands", so Crichton, "spielen ihre Schlagzeugparts heutzutage direkt in den Computer. Dies ist zwar einfacher und geht schneller, klingt aber oftmals ziemlich steril". Daher werde bei SAGA auch jetzt und in Zukunft eine analoge Bandmaschine für die Drumspuren genutzt. Dies klänge nun mal wärmer, natürlicher, dringe mehr in die Tiefe und bewiese echte Rockattitüde.
Daß dem tatsächlich so ist und die analoge Aufnahmeweise des Schlagzeugs mit dem typischen "sagaish" Sound der alteingesessenen Bandmitglieder perfekt harmoniert, beweisen anstandslos die zehn neuen Songs, unter denen zwar kein alles umwerfender SingleHit a'la "On the Loose", "The Flyer" oder "Wind him up" bzw. "How Long" zu finden ist, aber auch kein einziger Song, in Anbetracht dessen man auf die Idee kommen könnte, zu sagen, diesen hätten sich SAGA nach all den Hunderten von Liedern, die im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts den Weg auf ein Album gefunden haben, lieber ersparen sollen.
Wie eh und je gelingt es Sadler auch 2004, alle Facetten des treibenden Großstadtlebens in punkto Intonation und Ausdrucksform seiner Stimme aufzumalen. Der leicht abstrakte Eröffner "On the Air", übrigens Jim Crichtons persönlicher Favorit auf "Network", vermittelt beispielsweise die brodelnde Unruhe einer nicht enden wollenden Nacht in einer niemals zur Ruhe kommenden Metropole, während das hymnenartige "Don't look now" zumindest den Rezensenten an einen streßreichen Arbeitstag im Wirrwarr der Hochhauskomplexe der Millionenstädte dieser Welt erinnert. Hetze, Klaustrophobie und siedende Nervosität vermutet man hinter dem Hardrocker "Keep it Reel", dessen gitarrenbetontes Arrangement eines der monumentalsten, "lautesten", auf "Network darstellt und trotzdem niemals den geringsten Verdacht aufkommen läßt, Sadlers Stimme solle in irgendeiner Weise in den Hintergrund gedrängt bzw. vom heavy drauflos rockenden Arrangement übertönt werden. Der Shouter gönnt sich keine Auszeit: "I'm back" treibt ihn ruhelos durch die Obsessionen der Nacht. Dramatisch, man möchte beinahe sagen: opernarienhaft, zeigt sich die zurückhaltende und doch überaus emotionale Rockballade "Outside looking in": Klassische Elemente aus dem Synthesizer durchbrechen immer wieder die Realitäten der Aussichtslosigkeit, Simpsons so herrlich altmodisch tönendes Schlagzeug hämmert den Herzschlag der Nacht. Die harte, aber stets ehrliche Arbeit in "Don't look now" unterbricht plötzlich ein einlullendes Piano, bevor wiederum krachende Gitarrenwälle alles zu überfluten scheinen. Diesem, seinem speziellen, zwar plakativ unspektakulären, dadurch aber zeitlosen Sound frönt das Quintett auch in den weiteren typischen SAGARockern auf "Network", die da z.B. heißen "Live at Five" kritisch, leicht hysterisch oder "Back where we started" futuristisch, sehnsüchtig, aber stets fest auf dem Boden des Gegebenen stehend. Das aufwühlende, mehr als nur in Nuancen an Marillion-Rocker der Sorte "Assassing" oder "Incommunicado" erinnernde, über sechsminütige Artrock-Epos "Don't make a Sound" beendet ein mit knapp 50 Minuten Speizeit leider recht kurz geratenes, ansonsten aber - wie bei SAGA nicht anders zu erwarten war - punktgenaues, Hirn, Herz und Bauch gleichermaßen treffendes Rockspektakel erster Güte.
VW Konrad Adenauer... eingangs erwähnte Konstanten der deutschen Nachkriegsgeschichte lassen sich trotz aller Unterschiedlichkeiten durchaus auch mit SAGA vergleichen. Die Jungs gehen schnurstracks und kompromißlos ihren Weg. Dieser war und ist erfolgreicher denn je. Zwar füllt man nicht mehr die größten Arenen und läßt sich auf seiner kommenden Tour sogar in ansonsten kaum näher aufgefallenen Kleinstädten und Ortschaften wie Gersthofen, Bad Rappenau oder Villingen-Schwenningen blicken. Trotzdem dürften auch die Stadthallen und Familienparkhallen genannter Orte bis zum Bersten gefüllt sein, wenn SAGA dort im November diesen Jahres ein Feuerwerk aus alten wie neuen Hits und Klassikern entzünden werden. Denn den noch immer zuhauf vorhandenen Fans der unzerstörbaren Rocklegende kommt bestimmt auch in Anbetracht der neuen CD "Network" ein (nur leicht abgewandelter) Werbespruch einer anderen weltbekannten Autofirma in den Sinn: SAGA Da weiß man, was man hat! (Gesamtnote: 2)
(Holger Stürenburg, 06./07. September 2004)
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