Die ersten Eindrücke von Saga bekam ich in St. Wendel nicht erst während des Konzerts, sondern schon zwei Stunden vorher. Neu-Sänger Rob Moratti war zu einem stressfreien Face-To-Face-Interview zu haben und gab sich sympathisch und unkompliziert. Und dann lernte ich Thomas und Julian kennen, die bereits Stunden vor dem Gig aus Trier angereist waren. Thomas verfolgt Saga seit den 80ern und zeigt nun seinem Filius Julian, was gute Musik ist.
Er sprach die Jungs vor dem Tourbus an, woraufhin Chris Sutherland kurz im Bus verschwand und mit zwei Drumsticks für Julian zurückkam; und
Jim Crichton kramte noch schnell ein Plektrum für den jungen Strahlemann aus. Auch für Fotos waren Saga gern zu haben - eine sehr nahbare und sympathische Band, Hut ab! Thomas, Julian und ich quatschten noch über Saga und die Welt, während drinnen der Soundcheck lief - klassische Streichinstrumente, da waren wir schon Mal gespannt...
Die ungewohnten Klänge kamen von der schweizerischen Vorband Deep Trip, die 40 Minuten lang für mächtig Stimmung im Saalbau sorgte. Die junge Combo überraschte mit ihrem Line-up aus Sänger/Gitarrist, Drummer, Violine, Cello und Kontrabass. Sie spielten einen harten, düsteren Metal mit Metallica-Anleihen und einigen komplexeren, progressiv angehauchten Stücken. Die 'klassischen' Instrumente - Bass und Geige waren akustisch; das Cello eine E-Variante - ergänzten die teils elektrischen, teils akustischen Gitarren um eine wirklich außergewöhnliche Note.
Besonders der brummende Bass machte Eindruck, ob gezupft oder gestrichen. Die Jungs schmissen ihre langen Haare optisch sehr eindrucksvoll durch die Lüfte. Besonders der Geiger zeigte sich mit seinem ekstatischen 'Hip-Banging' (das war schon kein Head-Banging mehr!) als Showman. Technisch stieß er jedoch Deep Trip immer wieder schnell an seine Grenzen mit irre schiefen Tönen und immer schneller werdenden Soli, die er genau dann abbrach, wenn es richtig anspruchsvoll zu werden drohte.
Auch beim Sänger und Gitarrist in Personalunion war nicht alles sattelfest. Er lag mit seinem Gesang öfter neben der Spur; den Zuschauern war's aber egal. Wie der Funken übersprang - ich weiß es nicht. Da waren diese mutmaßlich zugedröhnten Schweizer mit Texten voller 'Four-Letter-Words' und ernst gemeinten Ansagen wie »Wir woll'n euch springen sehn!«. Und das an Saga-Fans, die doppelt so alt waren wie sie selber. Irre, aber den Leuten hat's gefallen; der Applaus war groß. Deep Trip sind nicht die Könner vor dem Herrn; aber sie haben gute Ideen und sind ein echtes Erlebnis!
Gespannt bis angespannt warteten die paar Hundert Zuschauer im mittelprächtig gefüllten Saalbau auf 'ihre' Saga, die viele von ihnen schon x-mal gesehen haben müssen. Aber eben stets mit ihrem charismatischen Frontmann Michael Sadler, der die Band nach mehr als 30 Jahren in aller Freundschaft verließ.
Saga Das Konzert begann mit einem Track vom neuen Album, aber noch ohne neuen Sänger. Das Instrumentalstück "The Human Condition" machte den Anfang - ohne die rudimentären Gesangspassagen der Studioversion. Jim Gilmour, Jim und Ian Crichton sowie Chris Sutherland bewiesen ihre hohe Klasse als Instrumentalisten mit technisch anspruchsvollem Stoff. Die Atmosphäre war packend - ein gelungener Start.
Dann war es so weit, der 'Neue', Rob Moratti betrat die Bühne. Ein Strahlemann in adretter Kleidung und mit voller, tiefschwarzer Mähne ohne die geringsten Zeichen von Graustich. Zum Einstand gab es gleich "The Flyer", einer der ganz großen Klassiker. Da wusste man, dass die Stimmung gut sein würde. Unheimlich offensiv sang Rob Moratti in sein Mikro, mit viel Power und Vibrato, wesentlich technikbetonter als sein gänzlich andersartiger Vorgänger. Der Gesang konnte zunächst überzeugen und erstaunen. Nicht verzaubern, aber beeindrucken. Das Publikum reagierte wohlwollend, ebenso beim nächsten Uralt-Klassiker "Wind Him Up".
Die Begrüßung des Publikums übernahm dann aber Jim Gilmour (»Meine Damen und Herren, wie geht's?«), der überraschte, als er Rob Moratti »in the Saga family« willkommen hieß, vor seine Keyboards trat und den Sänger herzhaft umarmte. Ein wenig seltsam mutete das schon an - besonders als Moratti kundgab, davon nun sehr überrascht gewesen zu sein...
Weiter ging es im Programm. Doch obwohl so wunderschön hypnotische Vibes wie jene von "On The Air" dabei waren, oder auch die typisch 'Saga-haft'-dynamische Hookline von "Book Of Lies", was die Damen in der zweiten Reihe zum Tanzen bewegte... irgendwie verflog die Energie des Anfangs zusehends. Und das lag vor allem an Rob Moratti, dessen Auftreten die Leute allmählich ermüdete. Seine Gestik wiederholte sich, unter anderem die übertriebenen Aufforderungen zum rhythmischen Klatschen, auch wenn es gar nicht angebracht war.
Moratti erinnerte leider all zu sehr an einen Schlagersänger. Das mag auch ein kulturelles Problem sein; denn in Nordamerika gibt es keine 'Schlager' in dem Sinn. Wahrscheinlich weiß er gar nicht, wie dieses superfreundliche Hardcore-Gutgelauntsein hierzulande wirkt. Auch die anderen Bandmitglieder, immerhin einen 'Selbstläufer' wie Michael Sadler als Frontmann gewohnt, waren kaum in der Lage, das Publikum auf Betriebstemperatur zu halten.
Ausnahmen gab es: Wenn Jim Gilmour einmal mit dem Finger schnippte, waren die Leute wieder da. Das schaffte Moratti längst nicht mehr. Mit dem brandneuen Material sank die Fieberkurve weiter: "Step Inside" ist zwar ein klasse Song - die Zuhörenden waren aber mit dem ungewohnt harten Material nicht zu begeistern. Leere Blicke, wohin man schaute. Und das Phänomen, dass die Fans beim neuen Material verstärkt aufs stille Örtchen pilgern, ist zwar bekannt. Noch nie habe ich das aber so intensiv erlebt wie hier. Sehr viele Leute gingen raus; gerade ganz vorn wurde es unangenehm licht in den Reihen. Eine blöde Situation für die Band. Der folgende Applaus war allenfalls als höflich zu bezeichnen.
Die bekannten Klänge von "Humble Stance" sorgten zumindest wieder für einen Mitklatsch-Automatismus. Und "Scratching The Surface", bei dem bekanntlich Jim Gilmour den Lead Gesang übernimmt, wurde wieder viel freundlicher aufgenommen. Das galt nicht für die weiteren neuen Songs in der Setlist, "Crown Of Thorns" und "You Look Good To Me". Besonders bei letzterem schaute man einander im Publikum fragend an. Vielleicht hätten Saga auch ein Band-typischeres Stück wie "Avalon" vom neuen Album spielen müssen.
Sei's drum - gegen Schluss des Gigs fing sich die Stimmung im Saal glücklicherweise wieder; und so kam am Ende auch ein deutlich vernehmbares »You're not, you're not, you're not alone...« zurück, als Rob Moratti das Mikrofon gen Publikum richtete. Die Zugabe war also nicht in Gefahr, auch wenn sie nicht unbedingt frenetisch verlangt wurde. "On The Loose" war als Rausschmeißer natürlich gut gewählt und hob noch einmal die Mundwinkel der Zuhörer. Das lag wohl weniger an dem neuen Frontmann, als vielmehr am gewohnt lebendigen Spiel der 'alten' Jungs, denen das frische, Metal-orientierte Drumming von Chris Sutherland mit einigen Double-Bass-Anteilen sehr gut zu Gesicht stand.
Danach waren die 'neuen' Saga sehr schnell von der Bühne verschwunden. Sie haben wohl selbst gemerkt, dass viel zu selten eine Verbindung zum Publikum da war. Ich will aber Rob Moratti keinen großen Vorwurf machen. Was man schnell vergisst: Er ist zwar Mitte vierzig, doch es handelt sich um die allererste Tournee in seinem Leben! Eine Hand voll Gigs auf Tour mit Saga hatte er zuvor absolviert und trifft Abend für Abend auf hohe Erwartungen und kritische Saga-Experten.
Trotzdem: Da muss noch was zusammenwachsen! Das Potenzial ist vorhanden, die Stimme stark. Wenn aber während der ganzen Tour eine so gespenstische Stimmung im Saal vorherrscht, dann werden viele enttäuschte Fans beim nächsten Mal ihr Geld nicht mehr für ein Saga-Konzert ausgeben.
Setlist Saga:
01:The Human Condition
02:The Flyer
Saga 03:Wind Him Up
04:You Were Right
05:On The Air
06:Book Of Lies
07:Careful Where You Step
08:Step Inside
09:Humble Stance
10:Scratching The Surface
11:Crown Of Thorns
12:You Look Good To Me
13:Don't Be Late
14:You're Not Alone
Zugabe:
It Never Ends
On The Loose
Boris Theobald
Quelle: http://www.rocktimes.de/gesamt/s/saga/st_wendel09.html