Erstaunlicherweise scheinen Veröffentlichungen „alter Helden", die eigentlich schon lange demonstriert haben, dass sich auf's Einspielen von eher netten, als revolutionären Alben festgelegt haben, doch immer wieder emotionale Reaktionen zu provozieren. Hat hier jemand „Yes!" gerufen?
Unter den aktuellen Leserrezensionswünschen taucht zum Beispiel das neue Saga-Werk „Sagacity" auf, mit dem Zusatz „Ich find's schlecht". Auf der Amazon-Seite kann man einige sehr negative Rezensionen lesen (und zwar von Leuten, die sich anscheinend wirklich Mühe mit ihrem Text gemacht haben, was ja nicht gerade der Standard bei Amazon-Kunden-Rezensionen ist). Da werden die Produktion (Gitarren zu laut, Sound verwaschen, Akustik-Gitarren irgendwie deplaziert), die Gesangsbeiträge von Jim Gilmour, die einfallslosen Songs, die langweiligen Texte und so weiter heftig kritisiert. Positive Stimmen gibt es aber immerhin auch.
Ich bin dann doch über diese heftigen Reaktionen etwas erstaunt. Wenn ich mal die Fanboy-Brille (Saga-Fan der ersten Stunde, unzählige Konzerte erlebt) beiseite lege, dann bleibt als Fazit, dass „Sagacity" ein normales, größtenteils erwartbares Saga-Album der Jetztzeit geworden ist. Es ist immerhin schon das 21. Studioalbum der Kanadier und da ist natürlich Pflege des eigenen Erbes angesagt, insbesondere nachdem Michael Sadler mit dem Vorgänger-Album wieder zurückgekehrt ist. Ganz typische Saga-Elemente wie knackige Gitarrenriffs, blitzschnelle Läufe von Ian Crichton, kraftvolle Gitarren-Keyboards-Duelle, hymnische Melodien und natürlich nicht zuletzt der klare, vielleicht zuweilen opernhafte Gesang von Michael Sadler sind hier versammelt und werden voller Inbrunst intoniert. Die Auftaktsongs wie „Let It Slide", „It Doesn't Matter (Who You Are)" oder auch „Don't Forget To Breathe" sind klassischer Saga-Stoff. Auffällig ist vielleicht die Tendenz zu eher kürzeren Songs und damit auch nicht ganz so ausladenden Instrumentalpassagen.
Dazu gibt es sogar ein paar neue Elemente im Saga-Sound. Ian Crichton lässt hin und wieder leicht angejazzte Akustik-Gitarren-Passagen erklingen, sowas hat man bei Saga sicher noch nicht gehört. Mancher Song hat ein paar wavige Elemente integriert und versprüht unterhaltsamen 80er-Charme. Und dann gibt es mit „Press 9" ein zumindest humorvolles Vokal-Experiment. Dem auch sogleich mit „Wake Up" ein tatsächlicher Wachmacher hinterher geschossen wird. Leider wird „Wake Up", gerade wenn man sich auf einen richtiggehend heftigen Rocker freut, ziemlich unvermittelt abgewürgt. Bass und Schlagzeug, bei Saga ja von jeher eine eher statische Angelegenheit, agieren etwas grooviger und luftiger, auch wenn Saga natürlich nie ein Ausbund rhythmischer Komplexität werden. Aber immerhin klingt Jim Crichtons Bass deutlich lebendiger als üblich.
Den Albumsound wie auch die Produktion finde ich klar und transparent. Die Gitarren, aber auch die Keyboards stehen gut im Raum und dominieren einander nicht, sondern ringen eben um die Vorherrschaft. Im Booklet ist beschrieben, wie Saga den Mixing-Prozess des Albums online mit allerlei moderner Streaming-Methoden (unter Einsatz einiger Apple-Produkte, die sicherlich nicht schädlich für's Bankkonto explizit erwähnt werden) während ihrer Europa-Tournee begleitet haben. Der Toningenieur saß dabei in einem Studio in Nashville und musste wegen der Zeitverschiebung zu ungewöhnlichen Zeiten arbeiten... modern times. An diesem Vorgehen hat sich einige Kritik entzündet, aber ehrlich gesagt, wenn man es nicht wüsste... ich glaube nicht, dass man es hören würde.
Wenn ich Kritik an „Sagacity" üben wollte, dann sicherlich dergestalt, dass Saga mal wieder kaum einen Zentimeter von ihrem etablierten Sound abweichen. Aber okay, Saga sind sowas wie die Status Quo des Prog und das ist halt Teil der Bandidentität. Jim Gilmour muss wegen mir nicht oft singen (soviele „Scratching The Surface"-Momente gibt es halt nicht), aber störend ist das keinesfalls. Eher schon störend ist, dass sich das Album überwiegend im Mid-Tempo-Bereich abspielt und der eine oder andere aggressive Ausbruch nicht geschadet hätte. Auch waren früher die Gitarren-Keyboard-Duelle deutlich schärfer und rasanter. Aber auch die Saga-Jungs werden halt nicht jünger (obwohl sie es live immer noch können, siehe 'special edition').
Fazit ist für mich also, „Sagacity" ist ein solides Saga-Spätwerk, welches mindestens den Fans ein paar schöne Stunden bescheren sollte. Im Saga-Kosmos fühle ich mich an "The Beginner's Guide To Throwing Shapes" oder "The Security of Illusion" erinnert (Alben, die ich durchaus schätze), nur um das Album noch etwas einzuordnen. Der Albumtitel, der übersetzt sowas wie „Klugheit", „Weisheit" („Altersweisheit"?) bedeutet, ist ein nettes Wortspiel, schließlich könnte man ja auch „Saga-City" lesen.
Die 'special edition' des Albums kommt mit einer Live-CD, die 2013 in Pirmasens im Rahmen der SWR1-Rockarena aufgenommen wurde. Saga spielen 9 Bandklassiker in flotten, druckvollen Versionen und mit ordentlich 'audience participation'. „Mouse In A Maze" ist als nicht ganz so oft gespielter Song eine nette Überraschung (und darüberhinaus einer meiner Lieblingssongs) und die klasse Version von „The Cross" (vom einzigen 'Aus-der-Reihe-schlagen'-Album von Saga, „Generation 13") ist ein Erlebnis. Live sind Saga immer noch eine Bank. Und beim Genießen der alten Kracher wird einem natürlich schon auch bewusst, dass die ganz kreativen Zeiten der Kanadier eben vorbei sind.
Anspieltipp(s): Let It Slide, Don't Forget To Breathe
Vergleichbar mit: Saga!
Veröffentlicht am: 6.7.2014
Wertung: 10/15
Von: Thomas Kohlruß
Quelle: http://www.babyblaue-seiten.de/index.php?albumId=14350&content=review