"Manchmal ist es Eskapismus - und das ist gut so"

Saga-Sänger Michael Sadler im Corso-Gespräch

Michael Sadler im Gespräch mit Fabian Elsäßer.

Saga-Sänger Michael Sadler
Saga-Sänger Michael Sadler (Fabian Schreyer)
Vor vier Jahren verließ Michael Sadler die kanadische Band Saga, um mit Mitte 50 eine Familie zu gründen. Überraschend ist er nun zu der Prog-Rockband, die Progressivrock und Synthie-Pop miteinander verbindet, zurückgekehrt und gemeinsam touren sie derzeit durch Deutschland.

Fabian Elsäßer: Warum sind Sie zurück gekommen?

Michael Sadler: Sie haben mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte. Um es kurz zu machen: Als ich mich beurlauben ließ, so würde ich das jedenfalls heute nennen, habe ich eine Rückkehr nicht völlig ausgeschlossen. Nur so als Möglichkeit. Ich wusste, wenn das eines Tages spruchreif wird, gibt es die kleine Chance, dass ich doch Ja sage. Aber so früh habe ich nicht damit gerechnet.

Elsäßer: Vier Jahre sind für eine Band heute eine ziemlich übliche Pause zwischen zwei Alben. Was haben Sie in diesen vier Jahren gemacht?

Sadler: Das erste Jahr bin ich ausschließlich daheim geblieben, um meinen Sohn großzuziehen. Er ist jetzt fast vier. Einer der Hauptgründe für meinen Ausstieg 2007 war ja, dass ich endlich ein eigenes Kind haben wollte. Eigentlich immer schon, aber ich wollte nicht die ganze Zeit auf Tournee sein und dann von meiner Frau hören: Er ist hat heute seinen ersten Schritt gemacht, oder: Er hat gerade sein erstes Wort gesagt. Es hätte mich umgebracht, so etwas zu verpassen. Man verpasst sowieso schon genug, wenn man unterwegs ist. Wie gesagt, das war der Hauptgrund. Das erste Jahr habe ich mich also mit meinem Sohn ziemlich abgeschottet. Danach hab ich verschiedene Sachen gemacht. Ich habe mit dem Rockorchester Orso in Freiburg altes Saga-Material arrangiert, das hat viel Spaß gemacht, mit einem 120-Mann-Chor und einem großen Orchester zusammen zu arbeiten. Ich habe mit Rudi Buttas von der deutschen Popband Pur Sachen für sein Soloalbum aufgenommen, bin auch ein paarmal mit ihm aufgetreten. Und ich habe mit der Bigband E 17 aus Seligenstadt bei Aschaffenburg Bigband-Versionen von Saga-Stücken gespielt. Das hat viel Spaß gemacht, drei so unterschiedliche Genres auszuprobieren.

Elsäßer: Nur einmal aus Neugier: Saga hat in der gut 30-jährigen Bandgeschichte um die neun bis zehn Millionen Platten verkauft. Reicht das, um nie mehr arbeiten zu müssen, ohne finanziellen Druck zu haben?

Sadler: Das war nie eine Geldfrage, das Geld hat noch nicht mal am Anfang eine Rolle für uns gespielt. Dass ich damit meinen Lebensunterhalt verdiene, ist ein reiner Bonus, denn ich habe mich für diese Karriere aus Leidenschaft entschieden. Ich werde dafür bezahlt, dass ich Spaß habe, fürs Auftreten, was ich liebe. Diese anderthalb bis zwei Stunden auf der Bühne, der Kontakt mit dem Publikum, dafür lebe ich. Aber finanziell gesehen? Ich sag's mal so: Das geht schon in Ordnung.

Elsäßer: Ich frage nur, weil viele Bands nie ein Bein auf den Boden bekommen.

Sadler: Manche machen Musik nur wegen des Geldes, andere aus Leidenschaft, und wenn sie Geld verdienen, ist das ein Nebeneffekt. Aber es stimmt schon: Es gibt so unendlich viele, Abertausende hervorragende Musiker auf der Welt, die davon nie leben können werden, die nebenher noch im Büro arbeiten müssen, weil es einfach so hart ist. Für jede Band die es schafft, gibt es Tausend, die es nicht schaffen, und du hast Riesenglück, wenn du am Anfang ein Publikum findest. Wir hatten dieses Glück, und Deutschland war unser erstes Publikum.

Elsäßer: Und ist es ja immer noch. Als ich vorhin hier ankam, haben sie Saga ein bisschen selbstironisch als Vintage Band, also als Oldtimer- oder sogar altmodische Band bezeichnet.

Sadler: Naja, altmodisch klingt immer noch besser als Dinosaurier.

Elsäßer: Das könnte man über Marillion eigentlich auch sagen, die es ungefähr genauso lange gibt wie Saga. Was war die Idee hinter dieser gemeinsamen Tour?

Sadler: Das war die Idee unseres Veranstalters hier in Deutschland. Das nächste Album kommt erst 2012, davor wollten wir erstmal eine Art Reunion-Tour mit mir machen. Auch, um uns wieder aneinander zu gewöhnen. Aber das hat sowieso nur gut zwei Sekunden gedauert, bei der ersten Probe, dann war alles wieder so wie früher. Der Veranstalter meinte aber, man sollte lieber eine Tour mit zwei gleichberechtigen Headlinern machen. Wenn es das überhaupt schon mal gab, dann jedenfalls nicht sehr oft. Man muss Bands finden, deren Musik einigermaßen zueinanderpasst, sonst verträgt sich das Publikum nicht.
Das Seltsamste, was ich je gesehen habe, war mal ein Lou Reed-Konzert und als Vorgruppe spielte Genesis!

Die originale Besetzung von Genesis als Opener, vor lauter Lou Reed-Jüngern! Und das zu der Zeit, als Peter Gabriel diese Triangelmaske auf dem Kopf trug, die langen Roben, und nur eine kleine Bassdrum vor sich. Und die Lou Reed-Fans riefen: "Oaahhh, verschwindet von der Bühne!" Das ist nicht fair fürs Publikum und auch nicht für die Vorgruppe, eine totale Fehlbesetzung.

Elsäßer: Waren Sie bei diesem Konzert?

Sadler: Ja, war ich. Das war schließlich die erste Tour, die Genesis jemals in Nordamerika gemacht hatten. Ich habe mir meine Karte gleich am ersten Tag des Vorverkaufs besorgt. Ich bin überhaupt nur wegen Genesis hingegangen. Lou Reed – nichts gegen ihn, aber ich war nie eine großer Fan. Bei diesem Konzert habe ich mit Genesis mitgefühlt, die haben mir so leid getan.

Elsäßer: Wenn man auf der einen Seite einmal die ganzen Prog-Rockbands wie Saga, Marillion oder Rush aufzählt, auf der anderen Künstler wie Lou Reed und die ganzen Singer-Songwriter. Dann hat man den Eindruck, Kritiker mögen keine Bands, die technisch brillant sind, sie müssen vor allem eine Botschaft haben oder die Gesellschaft ihrer Zeit abbilden. Ist Saga-Musik vielleicht auch ein Stück Eskapismus, die Flucht in Fantasiewelten?

Sadler: Die Kritiker haben sich mit uns immer schwer getan. Wir waren Prog, aber kein reiner Prog-Rock. Und was die Botschaft betrifft: Ich finde es am besten, wenn man beides kombiniert. Und das machen wir, wir bedeuten ziemlich vielen Menschen ziemlich unterschiedliche Dinge. Man kann unsere Musik einfach so hören, manchmal rockt sie ganz schön los, dann wieder ist sie ätherischer, regt einen zum Nachdenken an. Hin und wieder geben wir ein bisschen mit unserem musikalischen Fähigkeiten an, aber nie so auf die plumpe Tour: Hey, schaut mal, wie schnell wir spielen können! Und hin und wieder schreibe ich halt mal einen Song über die seltsamen Verhaltensweisen des Menschen, das ist dann auch mal gesellschaftskritisch, aber es ist nie aufdringlich. Wie gesagt, Saga waren glaube ich immer eine Mischung all dieser Dinge.

Elsäßer: Aber Sie haben sich damals nicht als Gegenbewegung zum Punk gesehen, der ja sehr in Mode war, als Saga das erste Album aufnahmen?

Sadler: Ach ja, wir hätten schon sagen können, "Wahrscheinlich müssten wir punkiger klingen. Oder, Oh-Oh, hier kommt Disco, vielleicht sollten wir discomäßiger sein. Wir haben immer das gemacht, was wir für gute Musik halten, was unserem Geschmack entsprochen hat. Und zum Glück haben genügend Leute das dann auch gemocht. Vielleicht gerade deswegen, weil wir uns diesem Trend widersetzt haben, unbedingt eine Botschaft zu haben. Als die Leute uns zum ersten Mal gehört haben, dachten sie, die klingen anders, die tragen auch kein Schild mit sich rum: "Du darfst nur so und so denken". Es ist einfach reine Unterhaltung. Und ja, manchmal ist es Eskapismus - und das ist gut so, die Leute brauchen das manchmal, vor allem in schlechten Zeiten. Wir sind immer wir selbst geblieben."

 


Quelle: http://www.deutschlandfunk.de/manchmal-ist-es-eskapismus-und-das-ist-gut-so.807.de.html?dram:article_id=121159

 

 

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